II. Die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen weiblichen Erwerbszweige

Strickerinnen. Klöpplerinnen. Näherinnen. Stickerinnen. Gouvernanten. Bonnen.

[19] Unter den Proletariern muß Jeder arbeiten, der nicht verhungern will. Es heißt zwar immer und überall: der Mann ist der Ernährer der Familie, der Erwerber, die Frau hat nur zu erhalten; – aber wo, wie in den untersten Ständen, der Mann oft kaum genug verdienen kann das eigne Leben zu fristen, da muß die Frau auch für das ihrige selbst sorgen und die Kinder, Knaben und Mädchen, auch wieder, wenn sie groß genug sind um etwas verdienen zu können. Die Frauen, welche für den Tagelohn die gröbsten Arbeiten verrichten, bekommen einen geringeren Tagelohn als die Männer, welche ebenfalls auf Tagelohn arbeiten. Man erklärt dies für angemessen, weil in vielen Fällen die naturgemäß geringeren Kräfte der Frauen auch nur zu geringeren Leistungen ausreichen und da der männliche Körper ein größeres Quantum von Nahrungsmitteln erfordern mag als der weibliche. Aber man kann gerade nicht behaupten, daß: Holzspalten, Wassertragen und Scheuern, Waschen und Kehren, ja das schon in ein höheres Fach gehörende Plätten, leichte Arbeiten wären, sie sind bekanntlich sämmtlich sehr anstrengend – aber die Redensart vom »zarten Geschlecht« wendet man solchen Frauen gegenüber nicht an – man besinnt sich nur noch darauf, wenn man[19] die Frauen von irgend einem Handwerk zurückschrecken oder die Unmöglichkeit darthun will, daß sie etwas, was Kraft und Ausdauer erfordert, üben könnten. Aber diese Frauen, welche die schwersten Arbeiten verrichten, sind noch lange nicht die beklagenswerthesten. Gegenwärtig sind sogar ihre Löhne ziemlich gestiegen, in den meisten Fällen bekommen sie gut zu essen und ihre Arbeiten sind zwar anstrengend, aber, wenn sie nicht ein gewisses Maß überschreiten, nicht gerade ungesund; das Tagelohn reicht in der Regel für den nothdürftigsten Lebensunterhalt aus. Diejenigen aber, welche nicht gelernt haben sich diesen gröbsten Arbeiten zu unterziehen oder deren Kräfte dazu nicht ausreichen, oder die durch ihre Kinder oder hilfsbedürftigen Eltern an's Haus gefesselt sind, sich auch nicht vermiethen können, müssen solche Arbeiten verrichten, die als speciell weibliche überall verzeichnet werden: Stricken, Nähen, Sticken. – Welche Concurrenz hierin, welches Angebot der Arbeitskräfte in Bezug auf ihren Verbrauch und dafür welch' geringer Lohn!

Eine Strickerin bekommt für ein Paar Strümpfe zu stricken in der Regel 5 Neugroschen oder 17 Kreuzer Rheinisch – zwei bis drei Tage muß sie darüber stricken, wenn sie nicht nebenbei etwas Anderes thut. Da es die leichteste Arbeit ist, fällt sie meist den Kindern und alten Frauen zu, welche zu anderen Arbeiten unfähig sind. In dieser Leichtigkeit, in diesem Nebenher liegt die stete Aufnahme dieses Arbeitszweiges, trotz den immer mehr sich vervollkommnenden Strumpfwirkerstühlen, trotz der Erfindung und endlichen Benutzung der Nähmaschinen. Aber welche Concurrenz noch außer der hierher gehörenden Strumpfwirkerei! Wer anhaltend strickt, kann etwa 15 – 18 Pfennige oder 8 Kreuzer Rheinisch verdienen – aber wer hat so viele Kunden? Da das Stricken eine leichte Nebenbeschäftigung ist, die bei jeder Art der Unterhaltung, ja selbst beim Lesen und Spazierengehen vorgenommen werden kann, so giebt es Hunderte, die nur stricken, um nicht müßig zu gehen, und dann auch ihre Arbeit verkaufen. Es ist auch Denen, welche es nicht zur höchsten Noth brauchen, nicht zu verargen, wenn sie sich einen kleinen Verdienst verschaffen wollen; aber dadurch, daß Viele dessen nicht bedürftig sind und die Bezahlung mehr als Nebensache betrachten, lassen[20] sich diese auch die Arbeit schlechter bezahlen und so drücken die vermögenderen Frauen eigentlich unbewußt und aus lauter Gutmüthigkeit den Verdienst der armen Leute herab, da diejenigen, welche davon leben müssen, nun auch so billig arbeiten sollen wie die, welche es nur zu ihrer Unterhaltung thun. Die armen Strickerinnen schätzen sich daher oft glücklich, wenn sie für die »Strumpfstricker,« die damit handeln, stricken können, sie dürfen da doch immer auf Arbeit und den Absatz derselben rechnen, wenn sie gleich dieselbe noch schlechter bezahlt bekommen. Derselbe Grund ist es, welcher die Weißstickerinnen antreibt für die Fabriken, die mit Seide und Wolle Stickenden für größere Handlungen zu arbeiten. Sie werden auch schlechter bezahlt, aber sie haben wenigstens keine Auslagen, da sie das Material, Stoffe wie Zeichnungen geliefert bekommen und, außer wenn eine Handelskrisis eintritt, doch sichere Beschäftigung haben. – Eine solche Stickerin – und gewiß kennt Jedermann die kunstreichen Arbeiten des modischen Weißzeugs – verdient den Tag etwa 2 – 3 Neugroschen, wenn sie von früh bis zum späten Abend arbeitet. Man glaube nicht, in den großen Städten und für Private würden diese Dinge viel besser bezahlt – ich habe gestickte Namenszüge in Taschentüchern gesehen, welche mit 8–10 Neugroschen oder 1/2 Gulden rheinisch (das Garn nimmt die Stickerin noch dazu) bezahlt wurden. Es war nicht möglich ein solches Tuch unter zwei Tagen anhaltender Arbeit zu vollenden. Ist nun die Stickerin im Zeichnen nicht geübt, so muß sie für das Zeichnen erst noch ein Viertel ihres Verdienstes abgeben. Auch die Arbeiterinnen der großen Städte schätzen sich glücklich, wenn sie für eine Handlung arbeiten können – sie haben dann doch immer zu thun – aber wenn sie von früh 6 bis Abends 9 Uhr mit der geringen Unterbrechung der Mittagszeit arbeiten, können sie etwa 5 – 10 Neugroschen verdienen, mehr gewiß nicht. Vielleicht nur um die Weihnachtszeit, wo die Arbeit drängt und viele dieser Arbeiterinnen ganze Nächte durchwachen, gewiß aber nie vor Mitternacht die Arbeit wegzulegen wagen. Und welche augenanstrengende Arbeit – die noch dazu zur Hälfte unter Licht gethan werden muß – und die, wenn die Arbeiterin allein wohnt, kaum ausreicht Kleidung und Nahrung, Holz und[21] Licht zu verdienen. Es geht eben nur, wenn das Letztere von einer Familie bestritten wird. Dies sind die am besten gestellten Arbeiterinnen. Aber eine gute Nähmaschine kostet noch immer 70 – 80 Thaler und es ist wohl auch bei der Construction derselben nicht anzunehmen, daß der Preis derselben sehr falle und so sind Tausende der armen Näherinnen in der Lage, in welcher die Handspinner den Maschinenspinnern gegenüber einst waren, ja zum Theil noch sind: in der Maschine, die der Menschengeist zur Erlösung der Menschen von geisttödtender Arbeit erfand, erblicken sie ihre Feindin. Die Nähmaschine wird als Feindin der armen Näherinnen betrachtet, sie macht ihnen Concurrenz, denn sie sollen nun auch so billig und so accurat arbeiten, wie es die Maschine thut, und der dann und wann noch gerühmte Vorzug der größern Haltbarkeit der Handarbeit vor der Maschinenarbeit wird nicht sehr gewichtig in die Wagschaale fallen – es ist auch hier derselbe Gang der Dinge zu erwarten, wie bei der Spinnerei: das Vorurtheil wird allmälig überwunden, die Maschinen werden noch verbessert und endlich wird es nur wie eine Sage betrachtet werden, daß man sich allein mit seinen Fingern ohne andere Beihilfe abmühte, ein Kleidungsstück zu fertigen. Und selbst wenn das neue Fabrikat weniger lange hält als das alte: – was thut es? es kostet dafür auch weniger und die daraus gezogenen Consequenzen sind einmal die herrschenden in unsrer industriellen Zeit. Es heißt eben darum mit ihr fortschreiten – was ist es denn für ein Unglück, wenn so und so viel tausend Mädchen durch die Nähmaschinen von ihrem alten Nähtisch vertrieben werden, an dem sie engbrüstig und hektisch werden und Zeit haben zu nichtigen Träumereien oder zum Jammern über ihr Schicksal? Die Hauptsache ist nur eben, daß man, wo ein Arbeitszweig aufhört lohnend zu sein, sich nach einem andern umsieht.

Und wenn ich das Loos der Näherinnen und ihr Festhalten an einem Erwerbszweig beklage, der eben Niemanden mehr ernährt – was soll ich da z.B. von den Klöpplerinnen im sächsischen Erzgebirge sagen? Hier zählt der Verdienst eines Tages oft nur nach Pfennigen! Ich fand einst eine Klöpplerin an einer äußerst mühevollen schwarzseidnen Spitze arbeiten; sie sagte mir, daß es ihre[22] Augen kaum aushielten, die dünnen dunkeln Seidenfädchen um die blitzenden Nädelchen zu schlingen – Abends sei sie gar nicht im Stande daran zu arbeiten, aber sie schätze sich doch glücklich diese Arbeit zu haben, da die schwarzen Spitzen besser bezahlt würden, denn sie könne den Tag eine halbe Elle arbeiten und so 1 1/2 Neugroschen verdienen, ohne die Abendstunden, wo sie zu einer gröberen Arbeit greife! Der Arbeitgeber gab ihr also 3 Neugroschen für die Elle, die Seide dazu kostete ungefähr eben so viel – und im Handel giebt man für die Elle solcher Spitzen 20 Neugroschen – nun mache man selbst die weitere Anwendung davon! Hättet Ihr diese Mädchen und Frauen des oberen Erzgebirges gesehen! Die Kinder, welche in den dumpfen Stuben aufwachsen, sehen gespenstisch aus, bleich, mit abgemagerten Armen und Beinen und aufgetriebenen Leibern – von der einzigen Nahrung, welche sie haben: der Kartoffel. Der Vater hat sich im Blaufarbenwerk einen frühen Tod geholt oder er zieht mit Rußbutten oder Holzwaaren durch das Land, Weib und Kinder müssen daheim arbeiten, er kann nicht auch für sie mit sorgen! Die kleinen Mädchen müssen klöppeln, sobald sie die Händchen regelrecht regen können – da verkümmern sie am Klöppelkissen, an dem die Mutter schon verkümmerte, daß sie nur schwächlichen Kindern das Leben geben konnte, am Klöppelkissen, an dem die Großmutter erblindete! Denn das unverwandte Sehen auf die feinen Fädchen, Nadeln und Klöppelchen raubt den Augen früh die Sehkraft und die spielende Bewegung der kleinen Klöppel – oft gegen 50–100 – mit den Fingern macht diese fein und zart, die Arme schwach und mager, und untauglich zu jeder andern Beschäftigung. Und da kommen die klugen Leute und sagen: die Frauen können etwas Anderes thun als klöppeln, es sei Wahnsinn, daß sie darauf bestünden. Nein, sie können es nicht, wenn sie einmal von Kindheit auf nichts Andres gethan haben, denn sie haben sich niemals kräftigen können und sind ganz und gar unfähig eine schwerere Arbeit zu verrichten – wenn man sie ihnen auch verschaffen könnte.

Ich habe schon die Preise angegeben, welche für einige weibliche Arbeiten bezahlt werden. Ja, wenn sie nur wirklich immer bezahlt würden! – aber auch die armen Näherinnen müssen Credit[23] geben und werden oft spät, zuweilen auch gar nicht bezahlt. Viele der wirklich Reichen haben keinen Begriff davon, was Arbeit ist und daß ein armes junges Mädchen, das nicht gerade zum Betteln gezwungen ist oder wie eine Bettlerin aussieht, ein paar Thaler sehr nothwendig brauchen kann. Die feinen Damen wissen auch oft nicht wie lange an einem Stück genäht werden muß und statt es nach sich selbst zu beurtheilen, was sie doch könnten, sagen sie: Ja, wir arbeiten natürlich lange an so etwas, weil wir nicht darüber bleiben, aber bei denen, die den ganzen Tag nähen, fliegt die Arbeit nur so hin – es ist unglaublich, wie viel sie in einem Tag fertig bringen. Denn das ist auch herkömmlich, daß der Reiche nie von sich auf den Armen schließt, sondern daß er diesen geradezu als ein anderes Wesen, eine andere menschliche Gattung betrachtet, als sich. So kennen sie auch nicht die Sorgen und Bedürfnisse der verschämten Armen – ein paar Thaler oder Gulden sind für den Reichen so wenig und darum wird eine solche Kleinigkeit oft wirklich vergessen. In diesem Vergessen aber liegt selbst der ganze Egoismus, die ganze Unnatur, die ganze Unchristlichkeit bei aller Frömmelei, Unmenschlichkeit bei allen öffentlichen Humanitätsbestrebungen der heutigen Gesellschaft!

Diejenigen nun, die nicht so reich sind, sich aber doch den Schein des Reichthums (durch Reich – thun) und der Vornehmheit retten wollen, daher arbeiten lassen, was sie nicht bezahlen können, benutzen diesen noblen Gebrauch – ehe sie bezahlen, warten sie ab, bis man sie mahnt, dann sagen sie wegwerfend: »Ach, diese Kleinigkeit hatte ich vergessen!« Natürlich kommen bei solcher Gelegenheit und Gewohnheit die Schüchternsten und Schwächsten am schlechtesten weg – und das werden die armen Arbeiterinnen sein, welche aus Zartgefühl nicht mahnen und die man auch im schlimmsten Falle nicht zu fürchten hat, wie den Kaufmann oder Handwerker, der am Ende mit gerichtlichen Klagen droht, indeß die Arbeiterin nur Thränen zu ihren Fürsprechern hat.

Glücklich sind diejenigen Mädchen, welche, indem sie von weiblichen Handarbeiten leben, noch einer Familie angehören, so daß sie wohl, was sie verdienen, den Eltern oder Geschwistern mit zum[24] Haushalt geben, aber doch nicht speciell dafür zu sorgen haben. Dann sitzen sie wenigstens in einer warmen Stube und haben ein warmes Mittagsessen. Aber welches Glück ist eine solche Existenz! Eine fleißige Arbeiterin steht früh 5 Uhr auf und setzt sich gegen 6 Uhr an ihren Arbeitstisch – dann steht sie nicht eher auf als um 12 Uhr zum Mittagsessen – in längstens einer halben Stunde ist dies beendigt und sie setzt sich gleich wieder hin – hat sie viel zu thun, so macht kaum die Dämmerung, noch weniger das Abendessen eine Unterbrechung, ein Butterbrot kann bei der Arbeit genossen werden – und darin besteht allein ihre Abendmahlzeit; gegen 10 Uhr, oder – je nachdem die Arbeit treibt – früher oder später, geht sie schlafen. Und so Tag für Tag, Stich für Stich – kein Feierabend, wie ihn andere Arbeiter haben, kaum Sonntags ein Kirchenbesuch, ein Spaziergang. Die Gedanken stumpfen entweder ganz ab oder bleiben an den Sorgen hängen: wo wieder Arbeit herzubekommen, wenn diese fertig? und wird diese auch bezahlt werden? – Aber keine Thräne darf in ihr Auge treten, dann möchte sie zu große Stiche machen – auch kein Blick auf die Straße irren – das ist schon eine Arbeitsversäumniß. Wie gesagt, eine Nähterin, die noch nicht ganz verlassen ist, kann das schon aushalten aus den Ersparungsgründen, die wir vorhin erwähnten und auch weil sie sich nicht so verlassen fühlt, weil ja die langweiligste Arbeit dadurch Werth bekommt, wenn man sich sagt, daß man nicht nur für sich arbeitet und wenn überhaupt Mehrere zusammen arbeiten oder doch ein Gespräch statt finden kann – aber wenn sie nun ganz allein steht oder noch einen alten Vater, eine stumpfe Mutter, kleine Geschwister, vielleicht ein eignes Kind mit zu ernähren hat? Im erstern Falle ist sie noch besser daran, dann kann sie als Näherin zum Ausbessern auf die Stube zu den Leuten gehen, da bekommt sie 2 1/2 bis 5 Neugroschen und das Mittagsessen – so hat sie wenigstens dies und doch meist ein kräftiges, erspart Holz und Licht zu Hause, kann auch bis Tagesanbruch schlafen und ist Abends von sieben Uhr an frei. Ist sie so glücklich, Schneidern oder Putzmachen gelernt zu haben, bekommt sie 8–12 1/2 Neugroschen den Tag. Solche Mädchen haben unter den Arbeiterinnen noch das glücklichste Loos gezogen,[25] aber sie haben auch in der Regel sich erst das Erlernen des Schneiderns und Putzmachens etwas kosten lassen müssen. Auch wird von ihnen schon eine gute Erziehung und feinere Bildung verlangt, wenn die gebildeten Familien sie in ihrer nächsten Umgebung sehen sollen – die arm und unwissend aufgewachsenen Mädchen eignen sich daher zu diesem Geschäfte nicht.


Diese »weiblichen Arbeiten,« wie Sticken, Häkeln, Nähen u.s.w. werden auch von allen denen vorgezogen, welche es nicht wollen wissen lassen, daß sie einen Verdienst brauchen können. Jedermann will für reicher gehalten sein, als er ist, oder die »höheren« Stände halten es für ihrer unwürdig, zu arbeiten. Man kann kaum dem Einzelnen einen Vorwurf daraus machen, einem Unrecht, welches das hergebrachte Unrecht der ganzen Gesellschaft ist, sich zu unterwerfen – das ist nicht oft genug zu wiederholen. Alles gilt ja der Schein und wenig das Sein – nun, so ergiebt man sich dem in der Gesellschaft einmal herrschenden Schwindel. Der Mann, der Familienvater sieht in der Regel durch die Kinder und deren Größerwerden die Ausgaben des Hausstandes in einem Grade wachsen, mit dem seine Einnahmen nicht Schritt halten, die Forderungen des Luxus werden täglich größer, nicht nur die Lebensmittel mit ihren sich immer höher steigernden Preisen vertheuern einen Haushalt, sondern die Garderobe – und zwar für beide Geschlechter – steigert sich zu immer mehr kostspieligen Extravaganzen, welche nicht mitmachen zu können fast wie ein Unglück, sicherlich als ein Mangel empfunden wird. Die meisten Familienväter belächeln zwar diese Dinge und finden sie überflüssig, ja stemmen sich oft hartnäckig dagegen, indeß, sie werden überstimmt, oder wenn das nicht hilft: überlistet. Die meisten Männer haben keine Idee davon, was eine Wirthschaft, noch was ein Anzug kostet – sie haben als Garçons gehört, – meist von ihren Eltern – daß sie Alles theuer bezahlen müssen, daß sie im Hause viel billiger leben könnten und glauben nun, wenn sie einen eignen Hausstand gegründet haben, diese Vorstellungen realisiren zu können – und sehen sich bitter getäuscht. D. h. sie wollen nichts von den kostspieligen Gewohnheiten des Junggesellenlebens[26] aufgeben – sie wollen im Hause dieselben Delikatessen genießen, die ihnen im Hôtel zur Auswahl vorgesetzt waren und ihre kräftige Hausmannskost nach den neuesten Vorschriften der Professoren der Naturwissenschaften noch obenein – und ein solcher häuslich er Mittags- und Abendtisch kostet dann viel mehr als das frühere Gasthausleben. Aber der Mann hält an der mütterlichen Lehre fest, daß in der eignen Wirthschaft Alles billiger sei (zu ihrer Zeit war es ja auch so!) und die Frau wagt kaum zu sagen, was ihre Küche kostet, weil ihr dann noch vorgeworfen wird: sie verstehe nur nicht so billig zu kaufen und zu wirthschaften, wie einst die Schwiegermutter. So wird oft aus lauter Liebe und Rücksichtnahme der Mann selbst in Bezug auf die Kostspieligkeit seiner ersten Forderung: gutes Essen, getäuscht, wie viel mehr nicht über die der weiblichen Familienglieder: gute Toilette. Die Preise aller einzelnen Gegenstände, welche sie bilden, sind so verschieden, daß wohl die wenigsten Männer hier den richtigen herausfinden werden, wenn ihnen ein billigerer gesagt wird – und um dies zu können, suchen die Töchter solcher Väter sich heimlich ein Taschengeld zu verdienen, um davon das Deficit ihrer Putzrechnungen decken zu können. So herrscht im gepriesenen deutschen Familienleben, an dem beileibe Niemand wagen darf zu rütteln, weil man das für einen Angriff auf die »Heiligkeit« der Familie erklärt, ein völlig ausgebildetes Hintergehungssystem, das sich natürlich fortpflanzt von Geschlecht zu Geschlecht und sein Gift von einem Kreis in den andern überträgt. Die Hausväter fürchten ihren Credit zu verlieren, wenn man erfährt, daß ihre Töchter für Geld arbeiten und geben das nicht zu, die Mütter fürchten aus gleichem Grunde, daß sie dann keinen Mann bekommen und lassen das Arbeiten heimlich geschehen – und um dies Alles noch zu unterstützen, versuchte jüngst eine deutsche Schriftstellerin in einer deutschen Residenz die Gründung eines »Bazars,« für welchen »Beamtentöchter« unter der Garantie, daß Niemand ihre Betheiligung daran erführe, arbeiten sollten! – Es sollte hierdurch wohl der schädliche Brauch vermieden werden, daß diejenigen, welche nicht von dem Verdienst ihrer Arbeit leben müssen, dieselbe gar noch billiger als Andere abliefern, weil sie die Arbeit nur als »Zeitvertreib« verrichten – aber[27] das verwerfliche Lügensystem, die unmoralische Anschauung, sich der Arbeit zu schämen, bekam dadurch nur einen neuen Beitrag.

Zum Glück sind nicht alle Eltern so verblendet, nicht alle Mädchen so thöricht. Aber wie wenig Gelegenheit finden sie zum Erwerb, auch wenn sie denselben suchen wollen mit Aufgabe ihrer häuslichen Existenz!

Die meisten Mädchen, die eine oberflächliche Erziehung genossen haben und nicht so weit vorgebildet sind, um eine Stelle als »Gouvernante« ausfüllen zu können, suchen eine solche als »Bonne« oder »Erzieherin,« oder »Mamsell,« wie der andere Kunstausdruck lautet. Kommt ein solches Mädchen, das von Allem etwas und meist Nichts ordentlich gelernt hat, in eine Familie, so weiß man dann oft nicht, ob man mehr die Familie bedauern soll, welche einem so dilettantenhaft gebildeten Mädchen die Aufsicht über ihre Kinder, wohl gar deren Erziehung anvertraut, – oder das Mädchen, das tausend Ansprüche an sich gemacht sieht, die alle zugleich zu befriedigen fast eine Unmöglichkeit ist! Wie fast immer im planlosen Frauenleben, entscheidet auch hier nur der Zufall, natürliche Begabung und der gute Wille, ob in irgend einer Weise ein günstiges Resultat erreicht wird.

Betrachten wir uns doch einmal diese Verhältnisse ein wenig näher. Wer eine »Bonne« engagirt, wünscht gewöhnlich Gouvernante, Kammerjungfer und Kindermädchen in einer Person zu vereinigen. Es sind einige kleine Kinder im Hause, die noch nicht oder nur zum Theil das schulpflichtige Alter erreicht haben. Die Mutter ist abgehalten sich ihnen ganz zu widmen – im schlimmern Falle durch Bequemlichkeit und gesellige Bedürfnisse, im bessern durch einen mit dem Geschäft des Mannes verknüpften großen Hausstand, durch Kränklichkeit oder ein kleines, vielleicht auch kränkliches Kind. Wir verdenken ihr dann nicht, daß sie sich nach einer Gehilfin umsieht; es ist sogar ihre Pflicht, es zu thun, sobald es die Verhältnisse erlauben. Eben so wenig verdenken wir ihr, daß sie statt einer vorurtheilsvollen, vielleicht abergläubischen Kinderfrau, oder eines leichtfertigen Kindermädchens, ein Mädchen von besserer Bildung wünscht, dem sie vertrauensvoll die Kinder überlassen kann. Nehmen wir also an, daß[28] ein Hausmädchen existirt für die Küche, Wäsche und andere gröbere Arbeiten und für das kleinste Kind eine Amme oder ein Kindermädchen, das ausschließlich von dessen Bedürfnissen in Anspruch genommen wird. Was wird nun von der Bonne Alles verlangt? Sie muß bei den größern Kindern schlafen, früh sie wecken, ankleiden helfen und den ganzen Tag über beaufsichtigen. Sie muß Französisch verstehen, um es den Kindern »spielend« – wie der Kunstausdruck lautet – mit zu lehren, außerdem aber Schneidern, Putzmachen, Gardinen aufstecken, plätten, nähen und alle weiblichen Handarbeiten verrichten, Alles besorgen, was zur Kleidung der Kinder und zur Haustoilette der Hausfrau gehört; vielleicht muß sie diese auch frisiren und ankleiden, wenn nicht täglich, doch für die Gesellschaft. Vielleicht muß sie auch mit bei der Wäsche helfen, stärken und mit auf die Rolle gehen, in der Küche jedenfalls, wenn es etwas mehr als gewöhnlich zu thun giebt. Außerdem muß sie mit den Kindern spazieren gehen und immer bereit sein »spielend« ihre Anliegen und Einfälle zu befriedigen: ihre Puppensachen nähen, ihre Spiele leiten, Alles aufräumen, was sie herumwerfen, für Alles stehen, was sie zerreißen oder sonst umbringen, wo möglich jeden Schaden wieder heilen, den sie anrichten und das Alles mit der liebevollsten und freundlichsten Miene – denn dazu hat man sie ja! Selten darf sie den Kindern etwas verbieten, abschlagen, noch weniger sie bestrafen, dazu haben die Eltern allein das Recht. Sind aber die Kinder unartig, so fällt die Hauptschuld allein auf die Bonne. Dies letztere bezeichnet schon den Standpunkt, den sie im Hause einnimmt. Wenn die Kinder mit am Tische essen, so hat sie das gleiche Recht – gewiß aber verschwindet sie mit ihnen, wenn Besuch kommt. Diesem gegenüber wird sie nicht besser als jeder Dienstbote behandelt; sie darf nur im Zimmer erscheinen, wenn sie zum Serviren, zur Theebereitung u.s.w. gebraucht wird und dann sitzt sie nicht mit am Tische, sondern hält sich abseits in einer dunkeln Ecke oder am Büffettisch auf. Die Besuchenden wissen kaum, ob es vergönnt ist sie zu grüßen. So wie von der Herrschaft wird sie auch von der Dienerschaft behandelt. Niemand thut ihr eine Handreichung, sie mag sich Alles selbst machen – ist aber etwas versehen, so wird sie von beiden[29] Seiten dafür verantwortlich gemacht. Wenn die Dienstmädchen etwas verdorben oder vergessen haben, schieben sie es auf die »Mamsell« hinter ihrem Rücken oder sagen ihr in's Gesicht: sie hätte es ja wissen oder thun können, »die Madame« habe es ihr gewiß gesagt – und diese wirft ihr wieder vor: sie habe doch auf die Mädchen aufpassen können u.s.w., ohne sich darum zu kümmern, daß jene geradezu sagen: die Mamselle »habe ihnen nichts zu befehlen.«

Nehmen wir nun auch an, daß ein geschicktes Mädchen schon in der eignen Familie sich die meisten Fertigkeiten aneignen kann, die als Mamsell von ihr gefordert werden, so muß sie doch wenigstens Französisch, Clavierspiel, vielleicht auch Schneidern und Putzmachen erst durch bezahlten Unterricht gelernt haben und überhaupt einen Grad der Bildung besitzen, der sich entweder nur durch Erziehung im Schooße einer gebildeten Familie oder sehr schwer in anderen wechselnden Verhältnissen erreichen läßt. Keineswegs also ist jedes Mädchen zu einer solchen Stellung befähigt und wenn es auch keiner allzugroßen Vorbereitung dazu bedarf, so ist doch immer für die einzelnen Zweige Lehr- und Stundengeld aufgewendet worden, das sich nun verinteressiren muß. Es sind die Töchter von Beamten, Pastoren, Advocaten, Künstlern, Privatgelehrten und kleinen Kaufleuten, die nach einem solchen Lebensunterhalt streben, entweder weil das Einkommen der Väter nicht ausreicht sie zu ernähren, oder weil sie denselben verloren haben.

Und was ist nun bei Bildungsgrad, Leistungsfähigkeit und Behandlung wie geschildert, meist der Lohn für solche Mühsal? – Die Feder sträubt sich es zu sagen!

Sechzig bis achtzig, höchstens hundert Thaler jährlich – dazu kommen im besten Falle noch Weihnachtsgeschenke, aber fast nie wird das Gesammteinkommen viel über hundert Thaler betragen. Dafür wird nicht nur die ganze Freiheit – es giebt keine Ferien und Feiertage, von den letzteren gestattet vielleicht einer um den andern einen Kirch- und freien Ausgang – und die ganze Arbeitskraft eines Mädchens verkauft, sondern es wird auch »anständige« Kleidung gefordert, deren Verbrauch bei den vielen wirthschaftlichen Leistungen[30] und der Kindernähe kein geringer ist, indeß meist die Zeit fehlt, für sich selbst zu nähen und auszubessern.

Und wenn irgendwo eine solche Stelle angekündigt wird, findet leicht eine Concurrenz von hundert Bewerberinnen statt!

Daraus kann man schließen, wie viele Mädchen es giebt, die zu einem solchen Erwerb genöthigt sind, genöthigt sich für den schlechtesten Gehalt auch noch der schlechtesten Behandlung Preis zu geben!

Fast giebt es kein Verhältniß, in dem die Arbeitskraft des Mannes in gleichem Grade ununterbrochen in Anspruch genommen würde, als es in der geschilderten Stellung im Frauenleben geschieht – freilich immer wieder sanktionirt durch das Herkommen, nach welchem die musterhafte deutsche Hausfrau und danach auch jede, welche ihr beisteht, sei es die Tochter oder die Dienerin – keine Ruhestunden kennen darf. Diese Einrichtung beruht aber meist nur in einer mangelhaften Zeiteintheilung, durch welche die Nothwendigkeit, zuweilen müßig zu warten und die üble Gewohnheit warten zu lassen, entsteht. Wenn man die mitten im häuslichen Walten und Schalten so verwartete und vertrödelte Zeit nur allein zusammenrechnet, die verlornen Minuten, deren Flucht man kaum bemerkt, und nun vollends die Stunden, die durch zwecklose und selten unterhaltende Besuche, sowohl im Abstatten als Empfangen derselben verloren gehen, so kommt eine ansehnliche Tageszeit heraus, von der eine nützliche Anwendung gemacht werden könnte. Die Zeit ist ein Capital, das man am allersorgfältigsten hüten sollte. Es gilt darum doppelt für das weibliche Geschlecht, dieselbe nicht allein zusammenzunehmen, sondern sie auch für sich selbst höher zu verwerthen, d.h. etwas zu lernen und zu treiben, das für die Zukunft diese höhere Verwerthung sichert. Die Sitte, die meiste Frauenarbeit und alle weiblichen Leistungen so schlecht, wie es geschieht, zu bezahlen, entsteht einmal aus der übergroßen Concurrenz in den wenigen ihr bisher zugänglichen Fächern, andererseits aus dem Pochen auf die Mäßigkeit und Anspruchslosigkeit des weiblichen Geschlechts, das mit Wenigem zufrieden ist, weil – es dies sein muß.

In den gebildeten Ständen finden die Töchter nur in der Kunst, in der Literatur und im Lehrfach für sich eine Quelle des[31] Erwerbes. Aber wehe den Unglücklichen, die sich nur um des Erwerbes willen, ohne Begeisterung und ohne Talent dahin wagen. Sie werden es im besten Falle kaum zu mittelmäßigen Leistungen bringen – und wenn man namentlich über so viele beim Theater untergehende, in der Literatur nur das Oberflächlichste leistende Frauen klagt, so liegt der Schlüssel dazu darin: alle diese hätten sich nie auf der Bühne oder in der Literatur versucht, wenn ihnen ein andrer Beruf zugänglich gewesen wäre.

Quelle:
Louise Otto: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Hamburg 1866, S. 19-32.
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